Aiways U5 - schon gefahren
Mit dem U5 bringt das chinesische Start-up Aiways einen komfortablen Elektro-SUV auf den Markt, der über 400 Kilometer Reichweite mit einem Einstiegspreis von unter 40.000 Euro kombiniert ... vor Abzug etwaiger Prämien. Klingt reizvoll ... und fährt sich noch dazu richtig gut.
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Aiways hat das geschafft, woran sich andere immer wieder die Finger verbrannt haben. Den Sprung vom Reich der Mitte mitten ins Herz Europas. Und das innerhalb von drei Jahren. Gäbe es das Corona-Virus nicht, das die Produktion in China lahmlegt, stünden schon im April 2020 die ersten Autos bei den deutschen Händlern. So wird es wohl August werden, bis die ersten U5 auf den Straßen rollen. Dann aber schon das 2021er Modell. Wie das in Österreich aussehen wird, ist ungewiss ... und wenig vorhersehbar.
So etwas Traditionelles wie "Händler" im Sinne von "Autohäusern" gibt es bei Aiways nämlich nicht. In Deutschland werden die Autos beispielsweise über die Elektromarkt-Kette von Euronics vertrieben. Wenn Reparaturen fällig werden, kümmern sich die Experten von A.T.U. um den U5 (turnusgemäß übrigens erst nach 100.000 Kilometern, auch das ist rekordverdächtig). Wer sich hier in Österreich da als Partner finden ließe, ist schwer zu sagen.
Zum Auto an sich ...
Angetrieben wird der U5 von einem 140 kW/190 PS starken Elektro-Motor. Starten wird er Chinese als Fronttriebler, später soll ein Allrad-Modell nachgereicht werden. Die Batterie ist 63 kWh groß und soll laut WLTP-Norm für eine Reichweite über 400 Kilometer (300 Kilometer bei Temperaturen unter null Grad) sorgen. Aufgeladen wird der Akku an der heimischen Wallbox in zehn Stunden. An einem Schnellader mit maximal 90 kW sollen wiederum in 50 Minuten bis zu 80 Prozent geladen werden können.
Das heißt: Der U5 ist voll alltagstauglich, selbst als Flottenfahrzeug für größere Fuhrunternehmen vorstellbar. Nach der Probefahrt auf der Sitzbank hinten kann man dieses Auto auch bedenkenlos dem örtlichen Taxler empfehlen. So bequem sitzt man sonst nur in der S-Klasse von Mercedes oder in den Monster-SUV von BMW, Daimler & Co. Kein Wunder, denn in der aufstrebenden Wirtschaftsmacht gibt es viele Chefs, die gar nicht mehr selbst fahren, sondern chauffiert werden.
Aber auch vorne sitzt man wie in der Vorstandsetage. Abgesehen von der ein oder anderen unansehnlichen Kunststoffoberfläche - aber die gibt es ja auch bei BMW oder VW. Ansonsten: schönes weißes Kunstleder – offenbar gut verarbeitet –, Chromspangen, Klavierlack, Holzimitate. Wie das alles nach 100.000 Kilometern aussieht, muss aber erst die Zeit zeigen.
Direkt hinter dem leicht abgeflachten Lenkrad gibt es drei Bildschirme mit den wesentlichen Fahrzeuginformationen. In der Mitte des Cockpits thront das 12,3-Zoll-Infotainment-Display, über das sich das ganze Auto vom Rekuperationsgrad bis hin zum Öffnen des Panorama-Glasdachs steuern lässt. Das Menü ist logisch aufgebaut und auf der Höhe der Zeit. Untypisch hingegen ist das fehlende Handschuhfach. Hier findet man nur zwei quadratische Chrom-Aufhängungen, an denen man verschiedene Boxen oder auch einen Tablet-Halter platzieren kann. Ein nettes Ausstattungsdetail - so wie auch die versenkbaren Türgriffe.
Apropos: Diesen Schmäh kennen wir ja eigentlich schon von Jaguar/Land Rover. Und tatsächlich erinnert auch das in der Mittelkonsole versenkbare Steuerrad, mit dem man die Fahrstufen wählen kann, frappierend an die entsprechende Lösung in so manchem Range Rover. Glücklicherweise war es dann dann aber auch schon mit Features, die unter die Rubrik Raubkopie fallen könnten, für die die chinesische Autoindustrie einst berüchtigt war. Ansonsten ist das Design des U5 nicht nur eigenständig, sondern auch fein gezeichnet, modern, aufgeräumt und durchaus für den europäischen Geschmack geeignet.
Beim Fahren haperts (noch)
Von der Fahrdynamik her kann der U5 trotz seines moderaten Leergewichts von 1,7 Tonnen mit der Konkurrenz wie etwa dem Audi e-tron nicht mithalten. Weder beim Antritt, der mit 9,1 Sekunden von 0 auf Tempo 100 nicht nur auf dem Papier ein wenig zögerlich wirkt. Auch wenn man mal alle 190 Elektro-Pferde in der Einstellung Sport gleichzeitig auf die Straße schickt. 315 Nm Drehmoment sind halt nicht unbedingt der Hammer. Noch beim Fahrwerk, das im Shanghai-SUV eher schwammig, manchmal aber auch übertrieben hart wirkt. Aber da wird sicherlich noch nachjustiert.
Die eher moderaten Fahrleistungen haben vermutlich Methode. Denn nur so lässt sich ein Verbrauch um die 16 kW/h realisieren und die Akku-Reichweite auf über 400 Kilometer steigern. Für Kunden, die einfach ein erschwingliches Auto suchen, dürfte die mangelnde Dynamik ohnehin keine Rolle spielen.
Ausgestattet ist der U5 mit allen herkömmlichen Assistenten. Vom Totwinkel-Warner bis hin zu Notbremssystem, von der intelligenten Fernlichtsteuerung bis hin zur Ausparkhilfe. Und dann gibt es ja noch das kleine Kästchen mit dem schwarzen Auge unten links an der Frontscheibe. Hier sitzt die Kamera der Gesichtserkennungs-Software. Sie stellt fest, wer das Auto fährt und spricht Warnungen aus, sollte der Fahrer müde sein. Big Auto-Brother is watching you.
Unser Fazit: Der U5 ist ein komfortables, ausgewogenes E-Auto, das bei der ersten Ausfahrt überzeugt. Wie groß die Reichweite tatsächlich und wie praxisnah die Ladezeiten wirklich sind, das muss ein ausführlicherer Test zeigen. Für die deutsche Autoindustrie, die bislang den Nimbus der Unschlagbarkeit für sich reklamiert hat, wird es langsam ungemütlich. Nach Tesla sorgen jetzt auch noch die Chinesen für richtig Musik im Konkurrenzkampf der modernen Mobilität.
Rudolf Bögel / mid